Pietismus in Reuß älterer Linie

Landesherrlicher Pietismus in Obergreiz –

ein aufschlussreicher Vortrag beim Hohenleubener Sonntagsgespräch

Das letzte Sonntagsgespräch des Vogländischen Altertumsforschenden Verein (am 17. Juni 2012) vor der im August stattfindenden Jahreshauptversammlung war einem  religionsgeschichtlichen Thema gewidmet. Martin Prell aus Gera, der ein Studium der Geschichte und der Religionswissenschaft an der Universität Leipzig abgeschlossen hat, berichtete kompetent vor rund 40 Interessenten über ein selten so konkret behandeltes Thema reußischer Geschichte. Der Vortrag stand unter der Überschrift „Landesherrlicher Pietismus unter Graf Heinrich II. (1696 – 1722) in Reuß-Obergreiz“. Martin Prell

Der Pietismus stellte die größte religiöse Erneuerungsbewegung im Protestantismus seit der lutherischen Reformation dar. Unter dem Leitmotiv der Pietas, d. h. der Frömmigkeit und des Pflichtgefühls, wandte er sich gegen die tote, vertrocknete Orthodoxie und die verbreitete äußerliche Geistlichkeit, der er die Verinnerlichung entgegensetzte. Die neuen Formen der Collegia pietatis, das waren Zusammenkünfte außerhalb der Gottesdienste, sollten zur zunehmenden Heiligung des eigenen Lebens in der Nachfolge Christi führen. Verbunden ist der Pietismus mit Namen wie Philipp Jacob Spener (1635 – 1705) und vor allem auch August Hermann Francke (1663 – 1727), dessen Aktivitäten in den Franckeschen Stiftungen und der damit verbundenen Gründung des Waisenhauses in Halle gipfelten. Auf Grund des großen Andrangs hatte Spener die Zusammenkünfte, die zunächst bei ihm zu Hause stattfanden, doch wieder in die Kirche verlegt, was zur Einbindung in kirchliche Strukturen führte. Francke, der in Leipzig Vorlesungen in deutscher Sprache hielt und Erbauungsschriften für das einfache Volk verfasste, wurde auf Grund seiner Aktivitäten aus der Universitätsstadt verwiesen, ging zunächst nach Erfuzrt und zuletzt nach Halle, wo seine eigentliche Wirksamkeit begann.

Dem kirchlichen Pietismus stand der radikale Pietismus in der Nachfolge des 1690 verstorbenem  Johann Jacob Schütz, eines Bekannten von Spener und Mitbegründers der Collegia pietatis, gegenüber. Diese Richtung lehnte zum Beispiel das Abendmahl und die Kindertaufe ab und bewegte sich außerhalb kirchlicher Strukturen.

Für das Gebiet der reußischen Herrschaften spielte in Bezug auf den Pietismus Heinrich XXIV. von Reuß-Köstritz (1781 – 1748) die entscheidende Rolle. Ihm, der keine landesherrlichen Befugnisse hatte und selbst keine Verfügungen erlassen konnte, gelang es , seine Mündel Heinrich II. von Obergreiz (1696 – 1722) sowie Heinrich XXIX. in Eberadorf (1711 – 1747) und Heinrich XV. in Lobenstein (1710 – 1739) zu beeinflussen und der neuen Richtung gewogen zu machen. Dagegen blieben Heinrich XI. in Schleiz (1692 – 1726), Heinrich XII. in Untergreiz (1675 – 1733) und Heinrich XVIII. in Gera (1685 – 1735) auf den Positionen des orthodoxen Luthertums.

Am konsequentesten in der Durchsetzung pietistischer Ziele erwies sich Heinrich II., der nach zwei Erweckungserlebnissen (1714 Tod seines auf dem Sterbebett zum Pietismus bekehrten älteren Bruders  und 17215v Rettung aus den Fluten der Elbe in Dresden) beschloss, sein weiteres Leben der inneren Frömmigkeit zu widmen und auch  seine Untertanen im pietistischen Sinne zu erziehen. Er war ein Sohn des als „Held von Zenta“ in  die Geschichte eingegangenen Heinrich VI. von Obergreiz (1649 – 1797). Dessen Witwe, eine geborene Freiin von Friesen, lebte am Dresdener Hof, wo der Pietismus keine Heimstatt fand. Für die Erziehung ihrer unmündigen Söhne aber war, wie bereits erwähnt, Heinrich XXIV. zuständig.  Er sorgte dafür, dass 1714 im Sinne Frankes in Greiz ein Convent aller Prediger (Synode) zusammentrat und die Schulpflicht ab dem 5. Lebensjahr und einen ganzjährigen Schulbesuch vorschrieb.Herrscher

Als Heinrich II. die Herrschsaft im winzigen Obergreiz übernahm, das außer den Städten Greiz und Zeulenroda noch 2 Dutzend Dörfer mit wenig Gewerbe und gering entwickelter Landwirtschaft umfasste, begann er sofort mit der Verwirklichung seiner Ziele. Der orthodoxe Superintendent wurde faktisch entmachtet, auch wenn er formal im Amt blieb. Seine Aufgaben übernahm dank der Konsistorialverordnung von 1716 wesentlich ein Kanzlei- und Konsistorialdirektor, der in seiner Person auch für kirchliche Belange zuständig war. Bei der Neubesetzung von Pfarrstellen wurde darauf geachtet, dass der Kandidat sich zum Pietismus bekannte. Die Konsistorialverordnung enthielt Bestimmungen über das Schulwesen, die Prüfung der Pfarrer und die Verbesserung der Hauskirche. Die Familienväter sollten z. B. verpflichtet werden, Sonntagsschule mit ihren Kindern zu halten und diese in ihren Kenntnissen zu prüfen. Ab 1717 trat regelmäßig die Pfarrsynode zusammen. In das Alltagsleben griff besonders das 1717 erlassene Polizeimandat wegen eines christlichen Lebenswandels und das darin ausgesprochene Verbot aller Tanzveranstaltungen und überhaupt jeder „Üppigkeit“ ein. Der  Besuch der „Rockenstuben“ und „ausländischer“ Dörfer, das Aufstellen von Weihnachtsbäumen, das Schlittenfahren und jegliche Sonntagsarbeit wurden streng untersagt. Zur Unterstützung seiner Vorhaben holte Heinrich II. den vorher in Isenburg-Büdingen tätigen Rat Becker nach Greiz. Zeitweilig weilten die Radikalpietisten Johann Wilhelm Petersen und Hochmann  von Hochenau am Hof. Widerstand von innen leistete der aus Gotha stammende Superintendent Johann Christoph Tüttleb (gestorben 1724), aber auch von Seizen der benachbarten Herrschaften Schleiz, Untergreiz und Gera erhob sich Protest. Dabei ging es zum Beispiel um den von Heinrich II. geforderten Ausschluss vom Abendmahl bei Verstößen gegen die Frömmigkeit, was einer Exkommunikation gleichkam. Der frühe Tod Heinrichs II. verhinderte eine weitere Radikalisierung. Die von ihm nach dem Halleschen Vorbild vorgesehene Gründung eines Waisenhauses konnte erst später verwirklicht werden.

Dr. Frank Reinhold

5-Jun-2012 | 2012, Nachlese

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