Marsch der Bergaer Buchenwaldhäftlinge

Der Marsch der Bergaer Buchenwaldhäftlinge

Zu den traurigsten Kapiteln in der Geschichte Bergas zählt das im November 1944 errichtete und etwa am 10. April 1945 aufgelöste Außenlager des KZ Buchenwald „Schwalbe V“. Obwohl die Erinnerung an dieses Lager nie verloren ging und sich auch bereits zu DDR-Zeiten Bergaer Schüler unter Leitung von Gertrud Rutschmann der Thematik zuwandten, konnten doch erst nach Freigabe einschlägiger Akten nach 1990 konkretere Angaben über die hier Inhaftierten und deren Schicksale gewonnen werden. So ist erst seit einigen Jahren allgemein bekannt, dass die in den Berg getriebenen Stollen keineswegs als unterirdische Produktionsstätte von V-2-Waffen dienen, sondern ein Hydrierwerk für die Treibstoff-Versorgung der Luftwaffe aufnehmen sollten. Das Hydrierwerk Zeitz war durch alliierte Luftangriffe ständig gefährdet und nicht mehr produktionsfähig.

Unter den Lagerinsassen befanden sich unter anderem auch russische, belgische und amerikanische Kriegsgefangene. Über letztere hat der inzwischen verstorbene Dokumentarfilmer und Oscar-Preisträger Charles Guggenheim als sein letztes Werk einen Film mit dem Titel „Soldiers of another war“ (Soldaten eines anderen Krieges) gedreht, von dem der Bergaer Heimat- und Geschichtsverein eine Kopie besitzt. Am 16. November, zufällig und doch geradezu symbolisch am Volkstrauertag, hatte nun der Vogtländische Altertumsforschende Vereins zu Hohenleubener zu einem Vortrag von Christine Schmidt (Freiberg/Sachsen) unter dem Titel „Der Todesmarsch des Buchenwaldaußenlagers Berga/Elster im April 1945“ eingeladen. Etwa 60 Interessenten erlebten einen berührenden und mahnenden Geschichtsexkurs, der einige sichtlich von Erinnerungen erschütterte Teilnehmer in ihre Kinder- und Jugendzeit zurückführte.

Die Referentin ist in Berga schon mehrmals mit Vorträgen zur Thematik aufgetreten. Jüngstes Ergebnis ihrer Forschungen war der Besuch eines Lagerüberlebenden, des heute in Israel beheimateten Dov Shapira, der als 15jähriger nach Berga kam und am 11. April dieses Jahres vor Bergaer Schülern auftrat.

Anstoß für das Interesses der Referentin an der Thematik waren ein Besuch in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Jad Waschem, wo auch erzgebirgische Orte als frühere Sitze jüdischer Gemeinden genannt sind, und Erzählungen ihrer Schwiegermutter, die vom Durchmarsch entkräfteter, von SS-Leuten bewachter Häftlinge durch Breitenbrunn (Erzgebirge) im April 1945 berichtete. Bald stellte sich heraus, dass widersprüchliche Angaben über die An- und Abmarschrichtung der Häftlinge existierten. Dies fand seine Erklärung schließlich darin, dass es sich um unterschiedliche Gruppen handelte; eine von ihnen kam aus Berga/Elster. Die Aufklärung des Marschwegs der Häftlinge des Außenlagers Schwalbe V und von dessen Vorgeschichte erwies sich als Puzzle, das nahezu kriminalistische Fähigkeiten verlangte. Am 6. November 1944 traf Bauleiter Willi Haak, der vorher bereits in Ellrich, Niedersachswerfen und Dora tätig gewesen war, in Berga ein, um die Organisation in Angriff zu nehmen; beteiligt war zunächst eine Firma in Zwickau; herangezogen wurden Bergleute aus Sachsen und anderen Regionen – die Bergaer Kirchenbücher verzeichnen z. B. einen zu Tode gekommenen Bergmann aus dem Ruhrgebiet. Zum Aufbau der Baracken wurden natürlich auch einheimische Firmen herangezogen, so die Bergaer Firma Baumgärtel, die Ende Dezember 1944 für die Bereitstellung von Handwerkern 3.332 Mark erhielt. Am 13. November trafen 70 Häftlinge, die später zum Teil als Kapos eingesetzt waren, als Vorhut ein; die Namen auf der erhaltenen Liste (z. B. Felcher. Nikischin, Grzyb) verweisen auf unterschiedliche Nationalitäten. Überliefert sind mehrere Fluchtversuche, die meist mit der Erschießung der wieder Eingefangenen endeten; der erste erfolgte bereits am 26. November durch einen russischen Häftling. Die einzelnen Häftlingstransporte sind genau in Listen erfasst. So traf am 13.12.1944 das aus größeren Kindern – der jüngste war 14 Jahre alt – und Jugendlichen bestehende so genannte „Kartoffelschälkommando“ in Berga ein. Bis zur Auflösung des Lagers waren insgesamt 3300 Buchenwaldhäftlinge hier interniert, wobei der Durchschnittsbestand 1500 betrug; Tote und Kranke wurden durch neue Arbeitssklaven ersetzt.

Als wenige Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner (16. April) die Auflösung des Lagers befohlen wurde, waren 320 Häftlinge nicht marschfähig; diese wurden per Bahn in ein anderes Lager abtransportiert. Geht man vom oben genannten Durchschnittsbestand aus, so machten sich über 1000 entkräftete, ausgemergelte Gefangene, angetrieben und bewacht von SS-Leuten und deren Hunden, auf einen ungewissen Weg. Die erste Etappe ging über Unter- und Obergeißendorf, Sorge-Settendorf und Teichwolframsdorf nach Reuth, wo in einer Scheune übernachtet wurde; bereits hier war der erste Tote zu verzeichnen. Gottesgrüner Bauern mussten entkräftete Häftlinge nach Hauptmannsgrün bringen, wo ein weiterer Toter nachgewiesen ist. Die dritte Etappe führte nach Obercrinitz, wo sich die Kolonne trennte und wieder in Steinheide zusammentraf. Immer wieder blieben an Erschöpfung Gestorbene, Erschlagene und Erschossene am Wegrand zurück; manche warfen die zu schwer gewordenen Holzschuhe und auch zerlumpte Kleidungsstücke in die Straßengräben. In Sosa ist eine regelrechte Treibjagd auf Entflohene überliefert, wobei die waffenfähigen Ortsbewohner mithelfen mussten. Am 21. April kam die weit auseinander gezogene Kolonne durch Gottesgab im annektierten Sudetenland: Als der gemeinsame Marsch in Oberhals endete, waren allein auf den Bergwegen in und um den Ort 49 Tote zurück geblieben.

In Oberhals erfolgte eine Trennung der Verbliebenen in Ost- und Westeuropäer mit den vorgesehenen Zielen Dachau bzw. Theresienstadt; im Ort blieben drei in den Bergaer Listen registrierte Häftlinge zum „Aufräumen“ zurück; da diese ihre Namen hinterließen, kann der Zug der Bergaer bis Oberhals hierher verfolgt werden. Einigen Häftlingen gelang es anschließend, in tschechisches Staatsgebiet vorzudringen, wo sie von der Bevölkerung unterstützt wurden und bis zum nahen Kriegsende überlebten.

In der anschließenden Diskussion berichteten unter anderem zwei damals junge Einwohner aus Berga und Sorge-Settendorf von ihren Beobachtungen. Einig waren sich die Zuhörer, alles zu tun, damit derartige Geschehnisse für immer der Vergangenheit angehören. Jährlich am 11. April wird seit einigen Jahren am schlichten Gedenkstein an den Todesmarsch der Häftlinge in Berga ein Kranz niedergelegt. Aufklärungsarbeit in den Schulen, wie sie der Besuch von Herrn Shapira in Berga leistete, ist dringend notwendig. Die Referentin wies auf das Projekt „Erinnerungsweg durch das Erzgebirge“ hin, das im Rahmen der Geschichtswerkstatt des Christlichen Jugenddorfs Chemnitz in Freiberg (Himmelfahrtsgasse 20, 09599 Freiberg) sich auch das Ziel gesetzt hat, die Todesmärsche der Häftlinge in der näheren und weiteren Region zu erforschen. Zeitzeugen und Mitarbeiter bei der Aufarbeitung werden jederzeit gesucht (E-mail: michael.duesing@cjd-chemnitz.de).

Dr. Frank Reinhold

15-Sep-2008 | 2008, Nachlese

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