Pilgerreise nach Santiago de Compostela

Bergauf und bergab – so wie im Leben auch. Hohenleubener Sonntagsgespräch zu einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela

Pilgerweg in SpanienDas letzte Sonntagsgespräch des VAVH vor der Jahreshauptversammlung im August war am 20. Juni 2011 einem Thema gewidmet, das – zumindest vor dem heimischen Herd – im Zeitalter der Globalisierung und des Alltagsstresses immer mehr Interessenten findet. Das scheinbar so unzeitgemäße Pilgern scheint so manchem ein Weg, der ungesunden Hektik der Moderne zu entfliehen und zur inneren Einkehr zu finden. Beate Piehler aus Diedorf, heute Heimleiterin in Bad Langensalza, nutzte die Zeit zwischen der Beendigung ihrer aktiven Tätigkeit im Pflegedienst und der Übernahme der jetzigen Funktion, sich auf den rund 800 Kilometer langen Jakobsweg von Jean-Pied-de-Port in Frankreich nach Santiago de Compostela zum Grab des Heiligen Jacobus zu begeben. Dieser alte Pilgerweg quer durch Europa, in mehreren Routen existierend,  wird seit Jahren immer mehr ausgebaut. Frau Piehler nutzte den bereits in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts entstandenen so genannten „Camino Francès“, der von Saint Jean-Pied-de-Port über die Pyrenäen nach Spanien und quer durchs Land führt.

In ihrem zweistündigen, frei, lebendig und humorvoll vorgetragenen Reisebericht nutzte sie die Möglichkeit, die Teilnehmer des Sonntagsgesprächs, illustriert durch zahllose Fotos, an ihren Erlebnissen teilhaben zu lassen. Ein von ihr verfasste ausführlichere Schilderung kann übrigens auch im Internet nachgelesen werden.

Obwohl bekennende Katholikin, sieht Beate Piehler den Grund für ihre Pilgerreise nicht vordergründig im Religiösen. Als Fazit, was ihr der Jakobsweg gebracht hat, stellt sie fest: „Was er bewirkt hat? Das kann ich ebenso wenig genau beschreiben, wie den Grund, warum ich ihn überhaupt gegangen bin. Aber er war wertvoll.“ Und sie kommt zur Erkenntnis, dass man sich selbst nicht überbewerten sollte. „Es gibt viel wichtigere Dinge, wie andere Menschen, die Natur, das Erleben, Hören, Fühlen und Denken.“ Dankbar solle man sein, „dass es so läuft, wie es läuft, denn es könnte viel schlimmer kommen … Man kommt an seine Grenzen, klar. Aber auch das ist gut so!“ Der Jakobsweg sei „überall, wo Menschen den Menschen neben sich und die Welt um sich herum bewusst wahrnehmen, aus ihrem Lebenswandel Zufriedenheit schöpfen, Dankbarkeit empfinden können und anderen eine Quelle der Freude sind.“ Der so erfrischende Vortrag war auf seine Weise sicher auch für jeden Teilnehmer des Sonntagsgesprächs eine Quelle der Freude und der Kraft für den Alltag.

Vom Ehemann an den Ausgangspunkt in Frankreich gebracht, begab sich Frau Piehler am 12.04.2010 um 10.00 Uhr allein an den Start. Über Stationen wie Pamplona, Burgos, Portomarin, Leon, Astorga, Puente la Reina, Logronò, Foncebadon, das Cruz de Ferro und  Manjarin traf sie genau nach 37 Tagen Wanderung und 38 Tagen Unterwegssein mittags in Santiago de Compostela ein. Und das, wie sie selbst bemerkt, ohne wirkliche Spanischkenntnisse, „völlig untrainiert“, mit Knieproblemen, aber befreit von der Notwendigkeit der übermäßigen Eile. Und unterwegs traf sie natürlich auf Pilgerkameraden, mit denen sie einzelne Wegstrecken zurücklegte.

Sich zu verlaufen ist übrigens nahezu unmöglich. Elias V. Sampedro, ein galizischer Pfarrer,  initiierte in den 1980er Jahren die Kennzeichnung des Weges quer durchs Land mit gelben Pfeilen. Daneben findet sich überall das uralte Pilgerzeichen, die Jakobsmuschel – zum Beispiel im Pflaster, auf Straßen, auf Gullideckeln, an Laternenmasten und als Zusatz auf Schildern und Wegweisern. Vervollständigt werden die Hinweise durch Kilometersteine, Tafeln und Wegweiser. Natürlich existieren auch Pilgerführer und Karten.
Pilgerreise nach Santiago

Der Jakobsweg führt durch hügelige Gegenden, Wein- und Getreideanbaugebiete, Hochebenen und flache Landstriche, also, wie die Vortragende treffend bemerkte, „bergauf und bergab, so wie im Leben auch“. Man trifft neben gewaltigen prunkvollen Gotteshäusern auf einfache  liebenswerte Menschen, so die alte Dona Maria in der Nähe von Logrono, die den Pilgern selbstlos Erfrischungen anbieten – und in den Herbergen gelegentlich auf Bettwanzen. Man durchlebt die verschiedensten Wettersituationen – in den 7 Pilgerwochen war außer Schnee und Gewitter alles vertreten, darunter Nachtfröste mit Raureif in den frühen Morgenstunden und Hitze in den Mittagsstunden. Viele Pilger, darunter auch Frau Piehler, nutzen die Möglichkeit, nach Abschluss der eigentlichen Pilgerreise noch in wenigen Tagesmärschen zum Atlantik zu gelangen. Der Ort heißt Finisterre, denn man vermutete einst hier das „Ende der Welt“. Am 29. Mai brachte ein Flieger von Ryan Air die Pilgerin zurück nach Deutschland, wo sie von Familie und Freunden erwartet wurde. Dereinst wird sie, so versprach sie den Zuhörern, sicher auch ein Buch über dieses Erlebnis schreiben; vorerst müssen Vorträge genügen.

Dr. Frank Reinhold

(die Fotos stammen liebenswerterweise von Nadin, die auch diesen beschwerlichen und doch so interessanten Weg in 2010 zurückgelegt hat)

24-Jun-2011 | 2011, Nachlese

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