Festvortrag zur JHV – Kalender

Kalender für den gemeinen Mann und Frühaufklärung 

–  Vernunft und Erfahrung versus Astrologie

 

Zur Jahresversammlung des Vogtländischen Altertumsforschenden Vereins hielt der bekannte Jenaer Historiker Dr. Klaus Dieter Herbst in Reichenfels einen Festvortrag zu diesem Thema.

Seit einigen Jahren beschäftigt sich der Wissenschaftler mit den einst weit verbreiteten Volks- und Schreibkalendern als wichtigen Quellen zur Geschichte des Alltagslebens im späten Mittelalter und der frühen Neuzeit. Und er konnte einige wichtige Ergebnisse seiner Forschungsarbeit darlegen.

Die Volks- und Schreibkalender waren im 17. und 18. Jahrhundert ein Massenmedium. Teure Bücher konnten sich die einfachen Leute nicht leisten. Neben der Bibel und einigen religiösen Schriften wie Katechismus und Gesangbuch war der Kalender mit seinen Texten oft die einzige weltliche Literatur in einer Familie. Ein solcher Kalender bestand aus zwei Teilen, dem Kalendarium und dem Prognostikum. Besonders interessant ist der zweite Teil in den historischen Exemplaren, von denen das Reichenfelser Archiv eine beachtliche Sammlung besitzt. Noch umfangreicher und mit Bedeutung von europäischem Rang sind die Kalendersammlungen in Altenburg und Krakau. Das Prognostikum enthielt alle astronomischen und astrologischen Daten für den Jahresverlauf. Auf- und Untergangszeiten von Sonne und Mond, zu erwartende Sonnen- und Mondfinsternisse, Beginn der Jahreszeiten waren wichtige Termine für den Alltag. Man zog Rückschlüsse für Aussaat und Ernte, aber auch für Witterungsprognosen, Gesundheitsrisiken und medizinische Praktiken wie Aderlassen, Schröpfen, sogar Haareschneiden. Und sogar astrologische, z.T. abergläubische Voraussagen konnte man entnehmen. Schließlich rundeten Zeichen- und Symbolerklärungen, Heiligen- und Märtyrernamen, Bibelzitate, Volksweisheiten, Wetterregeln und Sprichwörter das Angebot ab. Platz vorgesehen war immer für persönliche handschriftliche Notizen und Aufzeichnungen des Besitzers. Heute sind gerade letztere wichtige Quellen für die Kenntnis des Lebens und Denkens der Menschen dieser Zeit.

Sein Hauptaugenmerk richtete der Referent auf die Veränderungen in den Aussagen der Kalender. Waren sie noch in 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts geprägt von astrologischen abergläubischem Gedankengut, so zeigt sich in der Folgezeit deutlich der Einfluss der Aufklärung, die der Vortragende als das Anerkennen von Vernunft und Erfahrung in der Weltanschauung und vor allem im täglichen Leben und das Überwinden von Vorurteilen und abergläubischen Vorstellungen definierte. In den Kalendern fehlten nun astrologische Voraussagen und die meisten abergläubischen Vorstellungen. Dafür enthielten sie jetzt sachliche Berichte über Katastrophen, historische Ereignisse, Kriege, auch aktuelle Wetterkapriolen, die den Vergleich mit den bisherigen Voraussagen ermöglichten. So nannten Kalendermacher, wie der bekannte gelehrte Bauer Nikolaus Schmidt, genannt Künzel, und seine Nachfolger, Gottfried Kirch, Johann Christoph Sturm, Prof. Hamberger u. a. ihre Kalender nun „neuer, von allem Aberglauben gereinigter und verbesserter Kalender“.

So spiegeln auch die Kalender die geistigen Veränderungen und den Fortschritt im Leben und Denken jener Zeit wieder.

Mit herzlichem Beifall dankten die versammelten Heimatforscher und Freunde Herrn Dr. Herbst für seine interessanten und lebendigen Ausführungen.

 

Friedrich Wilhelm Trebge

18-Aug-2012 | 2012, Nachlese

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