Spaziergang auf dem „Oberen Schloß“ Greiz

„Buntes Ostergewimmel beim VAVH – Spaziergang auf dem „Oberen Schloß“ Greiz

Um mit Deutschlands größtem Dichter zu sprechen: Es war ein buntes Gewimmel, das sich am Vormittag des Ostersonnabends (22. März) den Greizer Schloßberg hinauf bewegte. Im Gegensatz zu Goethes Schilderung drängte das Volk allerdings nicht aus dem hohen, finsteren Tor hinaus, sondern zum renovierten, freundlich lockenden Torhaus des Oberen Schlosses hinein. Und auch der holde, belebende Blick des Frühlings war kaum zu ahnen, hatte sich doch pünktlich vor dem diesmal sehr frühen Osterfest der Winter erneut in Erinnerung gebracht. Immerhin blieb am Rundgangstag der befürchtete Schneefall aus.

In der bunten Menschentraube, die sich zu Beginn des zweieinhalbstündigen geführten Rundgangs im Torhaus drängte, waren so manche „Ureinwohner“ (Frauen eingeschlossen) aus Hohenleuben und Umgebung, und sogar aus Greiz, die gestanden, noch nie(!) oder allenfalls in früher Kindheit dem imposanten Gebäudeensemble einen Besuch abgestattet zu haben. Die Beteiligung übertraf, nicht zuletzt dank der Ankündigung in der Presse, die Erwartungen der Organisatoren um das Doppelte. Rund 80 Wißbegierige stellten die Schloßführerin, Frau Gisela Peter, vor logistische Probleme, die sie mit Bravour meisterte.

Der Rundgang begann am Stand der „Tourist-Information“ im Torhaus. Der Aufgangsweg zur Burg, wie wir ihn heute kennen, entstand erst in der späten ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts; der alte, steilere Steg ist heute noch von der Parkseite aus begehbar. Damals wurden auch das erwähnte Torhaus, das Kassenamt und das Kavaliersgebäude errichtet. Als Marginale sei erwähnt, daß die Reußen beim Bau der Elstertalbahn und der damit verbundenen Durchtunnelung des Schloßbergs in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts einen Einsturz des Felsens befürchteten und sich erst durch Zahlung von 50.000 Reichsmark besänftigen ließen.
Die Erstnennung von Greiz erfolgte 1209, das nächste Jahr bringt also die 800-Jahr-Feier der Stadt. Die bisher mit 10 Millionen Euro Fördergeldern unterstützten Renovierungs- und Instandhaltungsarbeiten, begleitet von archäologischen und baugeschichtlichen Forschungen im Schloßgelände, erbrachten dank dendrochronologischer Untersuchung bekanntlich das Jahr Baujahr 1188.Die Doppelkapelle sowie die Verwendung von Backsteinen deuten auf eine größere Bedeutung der ersten Anlage hin, als man sie ihr bisher zuschrieb. Die heutige, verschiedene Baustile aufweisende Burg entstand in dieser Form nach dem durch Blitzeinschlag hervorgerufenen Großbrand von 1540; die baulichen Veränderungen dauerten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Bis 1225 war das Obere Schloß Sitz der Vögte, später der Reußen. Von 1919 bis zum Umzug in das moderne Gebäude in der Friedhofsstraße (2001) beherbergten die Räumlichkeiten das Greizer Staatsarchiv; immerhin zuletzt 3,8 Kilometer laufende Akten. Heute wohnen auf dem Gelände noch 22 Familien; Anfang der 80er Jahre waren es 55. Bereits zu feudalen Zeiten lebten hier neben den Reußen zahlreiche Bedienstete, darunter übrigens im Kavalierhaus über der Schlacht- und Backstube auch der Oberförster. Die Zahl der eigentlichen Kavaliere war offenbar eher bescheiden, wie Frau Peter schmunzelnd anmerkte. Neben dem Kavaliersgebäude befindet sich die alte Mangelstube, in der noch heute per Hand zu betätigende Mangeln einen Eindruck von der einstigen schweren körperlichen Arbeit der Frauen vermitteln.

1752 kam zum Schloßensemble die Orangerie hinzu, die allerdings bereits nach wenigen Jahrzehnten mit ihrer größeren Schwester im Park nicht mehr konkurrieren konnte. Vor der Orangerie erhebt sich die “Zentaeiche“, errichtet zum Gedenken an den 1697 in der Schlacht bei Zenta tödlich verwundeten Heinrich VI. und sein Pferd, das ihn um 30 Jahre überlebt haben soll und der Legende nach darunter begraben ist. Erstaunlicherweise hat der Baum drei Jahrhunderte überdauert, obwohl nur einen Meter unter seinen Wurzeln der steinige Tonschieferfels beginnt. In den Gebäuden sind Keller teilweise bis 15 Meter Tiefe in das Gestein eingeschlagen. Im Zuge der Instandsetzungsarbeiten wurde übrigens auch ein um 1745 verschlossener, mit 55 Meter Tiefe bis unter das Elsterniveau reichender Brunnen wieder entdeckt, der nur wenig Wasser führte und deshalb nach knapp 50 Jahren wieder aufgegeben worden war. Er kann nun bei Führungen besichtigt werden. Der „Brunnenraum“ im Innenhof beherbergt übrigens keinen Brunnen, sondern ist so benannt, weil hier ein vom heutigen Krankenhausberg kommendes Rohr die Wasserentnahme ermöglichte.

Weitere Stationen des Rundgangs waren das 1853 errichtete Gefängnis (besichtigt von außen), der Durchgang des „Stelzenturms“, in dem sich 3 Gefängniszellen befanden, und weitere Räumlichkeiten wie die Prinzessinnenzimmer mit ihren originalen Schiffskehlendecken und der große Fürstensaal mit seinen seltenen Stuckverzierungen, in den zumindest von oben ein Blick geworfen werden konnte. Und natürlich bestiegen die Teilnehmer auch den Schloßturm und genossen den Rundblick übers Land zu Wahrzeichen wie dem Weißen Kreuz, dem Gasparinentempel und der Idahöhe.

Die zweieinhalb Stunden des Rundgangs vergingen, nicht zuletzt dank der kompetenten Führung durch Frau Peter, wie im Flug. Fragen der wißbegierigen Heimatfreunde bezogen sich unter anderem auf die künftige Nutzung der instandgesetzten Räumlichkeiten. Man erfuhr, daß neben der Durchführung wissenschaftlicher Veranstaltungen und der Möglichkeit, auf dem Schloss zu heiraten, auch eine ständige Ausstellung über die Reußen geplant sei. Der 1994 geschlossene „Schloßkeller“ wird keine Wiedergeburt als Gaststätte erleben, aber in den vorgesehenen Mittelaltertrakt mit einbezogen werden, hat man doch dort zugemauerte romanische Fenster entdeckt.

Den VAVH – Mitgliedern Joachim Thiele, dem Initiator, und Jürgen Zorn, dem Organisator von Seiten des Vereins, der leider an „seinem“ Osterspaziergang nicht teilnehmen konnte, sei herzlich für die gute Idee gedankt, neben dem Schweifen in die Ferne auch das Gute in der Nähe zu bedenken.

Dr. Frank Reinhold

22-Mrz-2007 | 2007, Nachlese

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