Die Familie Pferdekämper aus Triebes
Aus Puzzles in einem kleinen Karton wird ein Buch
„Meine Familiengeschichte, die im Jahr 1860 beginnt und im Jahr 2000 mit dem Tod meines Vaters endet, umfasst 140 Jahre.“ Mit diesem Satz beginnt Dagmar Wuttge am 22. Mai ihre Lesung aus der Familiensaga „Die Pferdekämpers – Ein Spiegelbild deutscher Geschichte“ im gut gefüllten Saal des Museum Reichenfels im Rahmen der traditionellen Sonntagsgespräche des Vogtländischen Altertumsforschenden Vereins zu Hohenleuben.
Von Volkmar Fischer
Hohenleuben/Reichenfels. Bettwärme zur Auskurierung einer Erkältung sei der Auslöser dafür gewesen, dass Dagmar Wuttge aus Seeheim-Jugenheim, Mitglied der Bergsträßer Autorinnen und Autoren, aus dem Sammelsurium in einem kleinen grauen Karton mit der Aufschrift „Familiendokumente“ ein 300 Seiten starkes Buch geschaffen hat. Und dieses Werk beeindruckt nicht nur durch seine Umfänglichkeit, sondern ebenso durch seine starken emotionalen Textpassagen aus persönlichem Briefverkehr von Familienmitgliedern aus drei Generationen: von der Gründung der Weidaer Jutespinnerei und Weberei im ausgehenden 19. Jahrhundert bis zu deren Aufschwung und Blütezeit Anfang des 20. Jahrhunderts weiter über die Vereinnahmung der finanziell angeschlagenen Geraer Jutespinnerei und Weberei in Triebes im Jahre 1929 bis schließlich zum Zerfall des Unternehmens wie auch der Familienbande nach Ende des 2. Weltkrieges.
Ein großer Bogen, den die 1942 in Gera als Dagmar Pferdekämper geborene Autorin spannt und immer wieder in Spannung hält durch Textpassagen aus Briefen ihres Großvaters, des Firmengründers Ewald Dietrich Pferdekämper (er wurde 1916 zum Geheimen Kommerzienrat ernannt) mit dessen Schwiegervater und wichtigstem Geldgeber sowie seiner Ehefrau Mathilde, geborene Groß. Nach dem Tode des Geheimrates im Jahre 1939 übernahm der 1904 geborene Sohn Rudolf (eines von neun Geschwistern) die Führung des gesamten Wirtschaftsimperiums mit insgesamt um die 2500 Beschäftigten in Weida und Triebes, nachdem er bereits seit der „feindlichen Übernahme“ der Triebeser Jutespinnerei und Weberei (so die Bewertung Wuttges aus heutiger Sicht) als deren Direktor fungierte. 1930 heiratete Rudolf Pferdekämper – standesgemäß die vier Jahre jüngere Liselotte Dix aus der Dynastie der Dix’schen Weidaer Lederwerke. Das Ehepaar hatte vier Kinder.
Gegenüber den ausführlichen Schilderungen aus der Gründerzeit der Weidschen Jute werden in der Lesung – anders als im Buch – die Darstellungen nach 1945 relativ knapp gehalten. Von der begabten Interpretin wohl nicht unbeabsichtigt, denn in der anschließenden Diskussion gibt es daher zu diesem Kapitel die meisten Fragen. Und dies nicht zufällig, hat doch die Mehrzahl der Zuhörer nach dem Kriege und zu DDR-Zeiten beispielsweise nichts erfahren über die Existenz eines Straflagers in Buchenwald oder über die Repressalien gegenüber früheren Betriebsbesitzern. Für die Pferdekämpers war dies auch eine Leidenszeit mit zahlreichen Entbehrungen, denn Rudolf Pferdekämper wurde auch nach Buchenwald verschleppt, von wo er 1950 als gebrochener Mensch zurückkehrte und alsbald in den Westen floh, wo die Familie in Oberfranken ansässig wurde, aber wirtschaftlich nie wieder Fuß fassen konnte. Erstaunlich und bewundernswert die sachlichen Schilderungen von Dagmar Wuttge aus dieser Zeit. Nur als sie über die Zeit nach 1989 und die Erfahrungen ihrer Familie mit der Treuhand berichtet, macht sich Erregung in der Stimme bemerkbar, denn alle Rehabilitationsansprüche wie auch Anträge auf Rückgabe oder Entschädigung sind bis heute – 26 Jahre nach der Wiedervereinigung – ins Leere gelaufen…
(Fotos: Volkmar Fischer)