Einblicke ins Leben der reußischen Dorfgemeinde

Vielfältigste Einblicke ins Leben der reußischen Dorfgemeinde bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts –
Festvortrag zur Jahreshauptversammlung des VAVH

Zum traditionellen öffentlichen Festvortrag anlässlich seiner Jahrshauptversammlung hatte der Hohenleubener Altertumsverein am 14. August eingeladen. Das Wetter verhinderte leider, die Veranstaltung wie üblich im Freien abzuhalten, so dass die Räume des Museums genutzt werden mussten. Udo Hagner, Roben, seit Wiederaufnahme der Tätigkeit des Vereins, also nunmehr 20 Jahre dessen Vorsitzender, berichtete unter dem Titel „Aspekte der Dorfgemeinde in Reuß bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts – ein vornehmlich rechtshistorischer Überblick“ aus seinen bereits vor 30 Jahren begonnenen Forschungen. Der Abschluss des umfangreichen Manuskripts der vorgesehenen Dissertation steht in absehbarer Zeit bevor; der Vortrag konnte trotz seiner Dauer von anderthalb Stunden und der Fülle der angesprochenen Einzelthemen nur einen kleinen Teil der Forschungsergebnisse, und auch dies nur in Ansätzen, berühren.
Der Referent begann mit einem gedrängten Überblick zur Besiedlungsgeschichte des Raumes, spielt diese doch auch eine wesentliche Rolle dafür, welches Recht wo zur Anwendung kam. So finden sich neben thüringischen (mit diesen ist das frühere Vorkommen des Heinbürgen-Amts in Verbindung zu bringen) auch fränkische und bayrische Siedlerströme, was sich bis heute unter anderem in den Dialekten zeigt. Ebenso kurz wurde der Aspekt der ökonomischen Entwicklung des reußischen Bauenstandes gestreift (Frage der Hufenverfassung, Größe der Orte, Erwerbstätigkeiten der Einwohner); auch der interessante Aspekt der Güterteilung und des immer wieder behaupteten (aber nicht konsequent erweisbaren) Jüngstenerbenrechts fand Erwähnung. Die Erforschung der ökonomischen Situation der Bauernschaft in Reuß ist durch den Verlust vieler einschlägiger Archivalien erschwert; trotz allem kann festgestellt werden, dass auch im naturräumlich wenig begünstigten Schleizer Oberland die Vermögensverhältnisse „nicht durchweg schlecht“ waren. Überliefert ist eine Klage des Hirschberger Amtmanns aus dem Jahre 1680 gegen die luxuriöse Marderpelzmützen tragenden Bauersfrauen von Göttengrün, Ullersreuth und Venzka. Andererseits ist eine erhebliche Differenzierung in Bezug auf den sozialen Status einzelner Dorfbewohner feststellbar.
Weitere Themen können hier nur in Auswahl und stichpunktartig angegeben werden. So berührte der Referent das dörfliche Handwerk (vorwiegend Leineweber, Schneider, Schmiede und Bauhandwerker), die Belastung durch Abgaben und Frondienste, die bäuerliche Freiheit im Frühmittelalter sowie das Alter der Gemeinde bzw. Nachbarschaft im Territorium (Gemeinderecht als ein „Rechtskreis eigener Art und eigener Wurzel“). Er stellte fest, dass die reußische Gemeindeverfassung „von unterschiedlichen Quellen und Einflüssen geprägt“ war. Zu nennen sind hier zunächst Landes- und Gewohnheitsrechte ungesetzten Charakters; sorbisches, fränkisches oder auch böhmisches Recht mag in der Praxis eine Rolle gespielt haben, ist aber in der schriftlichen Überlieferung nicht mehr konkret erweisbar. Angesprochen wurde auch die Rolle des Sachsen- oder des Schwabenspiegels (Rechtsvorschriften) im Alltag und deren Überlagerung durch römisch-rechtliche Einflüsse.
Weitere Stichpunkte wären z. B. Raubritterunwesen, bäuerliche Fehdeführung („Bierkrieg“), Kollision von landesherrlicher Gesetzgebung und Gewohnheitsrecht, Polizeigesetzgebung in den reußischen Territorien, religiöse Einflüsse (Pietismus) und die Gemeindeverfassung betreffende Ordnungen und Vorschriften. Besonderer Erwähnung bedarf hier eine in der Forschung bisher kaum beachtete Landgemeindeordnung für Reuß-Ebersdorf von 1847; es ist die drittälteste in den thüringischen Kleinstaaten überhaupt. Im Blickpunkt der Betrachtungen standen weiterhin Gesindeordnungen und Festlegungen zum schulischen Bereich, daneben z. B. auch Spital- und Brauordnungen. Von den 25 ermittelten Dorfordnungen, die zumeist recht spät entstanden und wohl oft ältere praktizierte, aber bis dato nicht aufgezeichnete Gepflogenheiten widerspiegelten, betreffen nur zwei das reußische Oberland (1674 Görkwitz, 1771 Ebersdorf/ Brüdergemeine). Auf die einzelnen Dorfordnungen und deren Geschichte kann hier nicht eingegangen werden. Bekannt sind – in zeitlicher Reihenfolge – derartige Ordnungen für Langenberg (1505), Bethenhausen (1547), Mühlsdorf (1569), Köstritz (1575), Großaga (1584), Pohlitz bei Greiz (1617), Kleinreinsdorf (1624), Kleinaga (1655), Trebnitz (1657), Lusan, Pohlitz bei Köstritz und Schwaara (1659), Roben (1662), Fraureuth (1665), Stübnitz (1667), Kraftsdorf (1669), Görkwitz (1674), Debschwitz (1700), Hundhaupten (1713), Ebersdorf/Brüdergemeine (1771), Hohenleuben (1842), Pörsdorf (1660), Waltersdorf bei Gera (1708). Tannendorf (1784) und Unterreinsdorf (1785).
Weitere Aspekte der Betrachtungen des Referenten waren Dorfgemeinde und Marktflecken, Inwohnerschaft und Nachbarschaft (Nachbar als vollberechtigtes Mitglied der Gemeinde), adlige Bauerngutsbesitzer als Mitglied der Nachbarschaft, Teilung von Orten unter mehrere Herrschaften, Vermögensverhältnisse und Viehbesitz sowie natürlich die bäuerlichen Gemeindeämter (Stichwörter Schultheiß, Richter, Heimbürgen, Vierleute, Gemeinmeister, Syndizi). Der so inhaltsreiche Vortrag soll im Hohenleubener Jahrbuch veröffentlicht werden, wo er sicher vielfältigste Anregungen für Regionalhistoriker geben wird, sich speziell im eigenen Wohnort den angesprochenen Fragestellungen zu widmen. Dr. Frank Reinhold . .

14-Aug-2010 | 2010, Nachlese

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