Religiöse Strömungen des 18. Jahrhunderts
Glauben und Heimat – Religiöse Strömungen des 18. Jahrhundert und ihre Auswirkungen auf den Greizer Raum
Mitte des 17. Jahrhunderts traten in der Religion und in den Geisteswissenschaften neue Strömungen, Denkweisen und Theorien auf, die sich schnell verbreiteten und auch in unserem Territorium Fuß fassten. Mit den Auseinandersetzungen zwischen der lutherischen Orthodoxie, dem Pietismus und der Aufklärung speziell am Beispiel der Greizer Fürsten befasste sich Herr Pfarrer im Ruhestand H. Warmuth, Greiz anlässlich des heimatgeschichtlichen Sonntagsgespräches des Vogtländischen Altertumsforschenden Vereins Hohenleuben am 16. Oktober 2005 im Museum Hohenleuben- Reichenfels.
In den Epochen des Barock und der Aufklärung, in einer Zeit also, in der der reformatorische Schwung im Protestantismus erlahmte, prägte zunehmend die Orthodoxie das Bild der evangelischen Kirche. Das Wissen über den Glauben wurde in den Vordergrund gestellt, nicht der Herzensglaube an sich, das Wissen der Lehrinhalte war vorrangig vor den eigenen Glaubenserfahrungen. In dieser geistlichen Umgebung entwickelte sich der Pietismus, vom lateinischen „pietas“ (Frömmigkeit) abgeleitet ab ca. 1650, seine Ursprünge reichen jedoch weiter zurück. Der Pietismus baut auf dem einfachen, überzeugten Glauben auf. Das Wort Gottes, die Bibel, gilt absolut, die subjektive Seite des Glaubens wird hervorgehoben.
Charaktereigenschaften wie Treue, Standhaftigkeit, Entsagung, Grübeln werden dem Pietismus zugeordnet, darüber hinaus aber auch Diakonie, Mission, Fleiß, Pünktlichkeit, Strebsamkeit. Im Pietismus entwickelten sich viele missionarische und diakonische Einrichtungen (Herrenhuter Brüdergemeine, Franksche Anstalten in Halle). Herausragende Vertreter des Pietismus waren u. a. J. Böhme (1575-1624); Ph. Spener (1635-1705), A. Francke (1663-1727), J. Hahn (1758-1819), N. Graf von Zinzendorf (1700-1760), F. Klopstock (1724-1803).
Stand beim Pietismus der Glaube im Mittelpunkt, so sollten im Zeitalter der Aufklärung, das sich ab Mitte des 18. Jahrhunderts von Frankreich ausgehend über ganz Europa verbreitete, das Denken und die Naturwissenschaften die prägenden Bestandteile sein. Bekannte Vertreter der Aufklärung sind Rousseau, Voltaire, Diderot, Lessing, Kant, Herder. Mit der Zeit der Aufklärung ging ebenso ein naturwissenschaftlicher und technischer Fortschritt einher. Typische Merkmale dieser Epoche sind kritisches Fragen, Denken und Zweifeln, Orientierung an das Diesseits (nicht mehr Konzentration auf das Leben nach dem Tod), Weisheit und Intellekt werden zu Tugenden, der menschliche Verstand wird zum Instrument der Wahrnehmung. Diesen geistigen Strömungen jener Zeit konnten und wollten sich die Greizer Herrscher nicht entziehen. Sie nahmen vielmehr aktiv Anteil an diesen Entwicklungen.
Enge familiäre Beziehungen zu den Pietisten (Gräfin Reuß- Ebersdorf heiratete 1722 Nikolaus Graf von Zinzendorf) spielten dabei eine große Rolle. Heinrich XIII. (1672-1733), Reuß- Untergreiz, war ein ausgesprochener Vertreter der lutherischen Orthodoxie und ein entschiedener Bekämpfer des Pietismus. Sein Gegenspieler, Heinrich II. (1696-1722), Reuß- Obergreiz dagegen war Anhänger des Pietismus, der mit administrativen Mitteln wie Tanzverbot und Einschränkung von Festlichkeiten seine Lebensweise durchsetzen wollte. Besonders krass zwischen beiden war der Streit um den Superintendenten Daniel Hering. Am 13.2.1707 verwiesen Bedienstete Heinrich XIII. ihn von der Kanzel um dessen pietistische Predigt zu verhindern. Heinrich II. war als Hauptgönner der Pietisten einer der frommsten Fürsten seiner Zeit. Sein Sohn und Nachfolger Heinrich XI. (1722-1800) hingegen war ein Anhänger der Aufklärung. Heinrich XI. regierte Obergreiz von 1723 bis 1743 unter Vormundschaft und danach selbstständig.
Er war einer der bedeutendsten Vertreter des Hauses Reuß jener Zeit, auf dessen Einfluss u. a. der Bau des Greizer Sommerpalais und der Aufbau der Hofbibliothek zurückzuführen sind.
Mit prägnanten Dias barocker Bauwerke unserer näheren und fernen Heimat schloss Herr Warmuth seinen überaus interessanten Vortrag ab. Dafür bedankten sich die Zuhörer mit einem herzlichen Applaus.
19.10.2005/J. Zorn