Sächsischer Prinzenraub

Vortrag über die Auswirkungen des sächsischen Prinzenraubs

Die Entführung der Prinzen Ernst und Albrecht durch Kunz von Kauffungen und seine Helfer im Jahre 1855 zählt zu den bekanntesten und wirkungsmächtigsten Ereignissen der sächsisch-thüringischen Geschichte. Die Theateraufführung im Altenburger Schloss hat auch in diesem Jahr wieder die  Zuschauer in ihren Bann geschlagen. Vieles, durchaus Kontroverses und Widersprüchliches, ist über den Prinzenraub  geschrieben worden, und auch die Rolle der darin auf der einen und der anderen Seite verwickelten Personen schwankt je nach Einstellung des Berichtenden. Bereits 1458 widmet sich der römische Kardinal Enea Silvio Piccolomini (1405 – 1464), als Pius II. im gleichen Jahr zum Papst ernannt, dem Thema. Und auch der Nürnberger Humanist Hartmann Schedel (1440 – 1514) geht in seiner 1493 gedruckten „Weltchronik“ darauf ein. Wesentlich geprägt wurde die Sicht der Historiker durch die unmittelbar nach der Tat entstandene Rechtfertigungsschrift des Kurfürsten Friedrich I.

Etwa 60 Interessenten hatten sich im Anschluss an die Jahreshauptversammlung des VAVH zu Hohenleuben am 16. September versammelt, um die Ausführungen von Dr. Hans Joachim Keßler (Frohburg), Verfasser einer 2005 in Altenburg erschienen Broschüre zum Thema,  über den sächsischen Prinzenraub und seine Auswirkungen zu verfolgen.

Der Referent beleuchtete zunächst die historische Situation in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Zwischen Sachsen und Böhmen bestanden durchlässige, nicht überall festgelegte Grenzen. Der Ritter als militärische Stütze des Feudalsystems verlor an Bedeutung; der tuchbekleidete Landsknecht war im Kommen. Die hussitischen Wagenburgen mit ihren leicht beweglichen Geschützen eröffneten eine neue Ära. Der von 1446 bis 1451 andauernde sächsische Bruderkrieg zwischen Kurfürst Friedrich I. und Herzog Wilhelm III., maßgeblich geschürt durch die Brüder Vitzthum, verwüstete das Land. Die Bedeutung Sachsens, zumindest vor dem Bruderkrieg eines der reichsten Länder, basierte auf drei Säulen: Erstens war es ein altes Durchgangsland: Die von Frankreich nach Russland führende Via Regia und die von Jütland bis Genua reichende Via Imperii, die unter anderem Altenburg und Zwickau berührte, brachten Geldsegen durch Steuern und Stapelrechte. Eine weitere Einnahmequelle des Landes war der Bierhandel; Bier spielte als alltägliches Getränk eine große Rolle. Und drittens war das sächsische Silber ein entscheidender Faktor.

Kunz von Kauffungens Lebensweg fällt in jene bewegte Zeit. Erstmals wird er 1429 zusammen mit seinem Bruder Heinrich (Henze) urkundlich genannt. Der Vater soll in der Schlacht bei Ausig gegen die Hussiten als einer von 800 sächsischen Adligen gefallen sein. Kunz, der sich selbst als „freier Edelknecht“ bezeichnete, führte ein unstetes Leben. 1431 war er angeblich Hauptmann im Dienst derer von Schönburg, 1443 trat er seinen Dienst als Burgvogt in Altenburg an. 1446 nahm er auf Seiten des Kurfürsten am Bruderkrieg teil, für diesen kämpfte er auch in der Niederlausitz gegen die Brandenburger und übernahm 1448 während des Schwarzburgischen Hauskrieges das Kommando über die Reiterei. Etwa zur selben Zeit überfiel er bei einer Fehde gegen die Brüder Vitzthum bei Leipzig und Borna thüringische Kaufleute und brachte sie auf seine Burg Stein. 1449 stritt er im Dienst der freien Reichsstadt Nürnberg gegen den Brandenburger Markgrafen und führte die städtischen Bogenschützen an. 1450 geriet er, wieder auf kurfürstlicher Seite kämpfend, beim Sturm auf Gera in Gefangenschaft und wurde nach Prag gebracht, konnte sich aber im Frühjahr 1451 mit einem Lösegeld von 4000 Gulden freikaufen.

Kunz von Kauffungen besaß dauerhaft oder zeitweise die Burgen Kaufungen, Stein, Eisenberg (in Böhmen) und die Dörfer Milowitz in Thüringen und Schweikershain in Sachsen. Das letztgenannte bis dahin Vitzhumsche Besitztum war ihm 1449 vom Kurfürsten als Ausgleich für das von eben jenen Brüdern zerstörte Milowitz zugesprochen worden. Nachdem Kunz aber militärische Auseinandersetzungen um sein Gut Leutmannsdorf in Böhmen geführt hatte und damit gegen einen sächsisch-böhmischen Waffenstillstand verstieß, verlangte der Kurfürst die Aufgabe von Schweikershain bei Kriebstein im Rücktausch gegen das minderwertige Milowitz.

Der sich ungerechtfertigt behandelt fühlende Kunz forderte nun vom Kurfürsten rund 8000 Gulden für seine Einbußen im Bruderkrieg; jener machte eine Gegenrechnung von 20.000 Gulden wegen „Landschaden und Straßenraub“ auf und verweigerte die Zahlung. Im Ergebnis dessen nahm Kunz von Kauffungen insgeheim Verbindung zum böhmischen König Georg Podiebrad auf, der ihn in seinen Plänen unterstützte, die Prinzen zu entführen und nach Böhmen zu bringen. Dass dies letztendlich misslang und zur Hinrichtung des Kunz führte, den man bezichtigte, den Fehdebrief, der ihn vor Strafverfolgung geschützt hätte, nicht rechtzeitig übergeben zu haben, ist bekannt.

Der Vortrag machte deutlich, dass ein Schwarz-Weiß-Bild der Vorgänge nicht angebracht ist. Taktieren und Wechsel der Seiten war durchaus zeitgemäß. Der Kurfürst, unter maßgeblicher Mitwirkung der seinen Bruder, Herzog Wilhelm, aufhetzenden Brüder Vitzthum in den Bruderkrieg verwickelt, gab diesen später zum Nachteil seines früheren Bundesgenossen Kunz von Kauffungen ihr Gut Schweikershain zurück. Auch ließ er die auf Kunzens Burg Stein festgehaltenen Kaufleute befreien. Gegenüber Kunz nachzugeben, hätte eine Schwächung seiner Position bedeutet. Unverständlich bleibt, weshalb sich der Kurfürst von seinem zu diesem Zeitpunkt schon rebellierenden einstigen Vogt einen Küchenjungen empfehlen ließ, der dann als brieflicher Verbindungsmann zu den Entführern wirksam wurde. Die Hinrichtung dieses angeblichen Küchenjungen Hans Schwalbe in Zwickau kann auch als kurfürstliche Machtdemonstration gegenüber den dortigen Bürgern gedeutet werden, die der Entführung wohl eher wohlwollend gegenstanden. Die am Prinzenraub mitbeteiligten Ritter  Wilhelm von Mosen und Wilhelm von Schönfeld dagegen gingen völlig straffrei aus, nachdem sie Prinz Ernst unter dem Druck der Verfolger freiwillig übergaben.

Auch die Rolle Georg Podiebrads ist zwiespältig. Im Machtkampf mit den Wettinern hatte er – wenn auch heimlich – Kunz von Kauffungen unterstützt; dessen Söhne ließ er später auf dem Hradschin gemeinsam mit seinen eigenen erziehen. Andererseits wurde Prinz Albrecht bereits 1459 mit Georgs Tochter Zdenka vermählt; im gleichen Jahr war in Eger durch Kurfürst Friedrich und König Georg Podiebrad endgültig der Erzgebirgskamm als Grenzverlauf  zwischen Kursachsen und Böhmen festgelegt worden. 1464 starb Kurfürst Friedrich; die Kurwürde ging an Ernst über, der – scheinbar gewitzt durch die negativen Erfahrungen des Bruderkriegs – gemeinsam mit seinem Bruder Herzog Albrecht bis 1485 regierte. Mit dem Tod ihres Onkels, Herzog Wilhelm von Thüringen, fiel 1482 die Landgrafschaft Thüringen an das Kurfürstentum zurück. Drei Jahre später nun teilten die Brüder ihren Besitz: Ernst erhielt die Landgrafschaft Thüringen, das Vogt- und Pleißenland und den Wittenberger Kurkreis, Albert die Markgrafschaft Meißen, Teile Nordthüringens und des Südharzes. Der Reichtum schaffende Bergbau im Erzgebirge wurde von der Teilung ausgenommen. Die Ernestiner wurden später zu Förderern der Reformation, der sich die Albertiner zunächst widersetzten.

Manches, so der tatsächliche Termin der Übergabe des Fehdebriefs, die wahre Identität des schriftbeflissenen Küchenjungen oder die im Vortrag nur nebenbei erwähnte Überwältigung des Kunz durch einen(?) Köhler, wird nicht mehr eindeutig aufzuklären sein. So bleiben Geheimnisse, auch wenn der über eine Privatfehde hinausgehende politische Hintergrund des Prinzenraubs deutlich scheint.

Dr. Frank Reinhold              .

16-Sep-2008 | 2008, Nachlese

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