Schätze des Bergaer Stadtarchivs
Wenn sie in alten Akten kramen … Die Schätze des Bergaer Stadtarchivs im Hohenleubener Sonntagsgespräch
Vor nunmehr fast 3 Jahren, am 10. April 2006, traf sich im Rahmen eines auf ein Jahr befristeten Lokast-Projekts des Heimat- und Geschichtsvereins Berga ein kleines Häuflein Interessierter erstmals in der alten Bergaer Schule, um die Archivalien der Stadt für die künftige Nutzung zu erschließen. Damals rechnete wohl niemand damit, dass der wöchentliche Archivtag für die Beteiligten zu einem festen Bestandteil ihrer Wochenplanung werden sollte, der auch nach dem offiziellen Projekt-Ende Bestand hat. Denn ziemlich bald hatte man festgestellt, dass die Beschäftigung mit staubigen Akten alles andere als trocken sein muss. Die „jungen Archivare“ zwischen 55 und 70 fanden so vieles, worüber man angeregt diskutieren konnte; jede(r) brachte Erfahrungen und Wissen ein, und auch der Spaß kam und kommt nicht zu kurz. Übrigens existiert seit Juli 2007, vor allem für denn weiblichen Teil des zur Zeit siebenköpfigen Teams, nach einer Staubattacke die folgende „Kleiderordnung“: „Wenn sie in alten Akten kramen, dann gilt für modefesche Damen beim Tragen blütenheller Blusen: Schnell gibt’s nen Dreckfleck über’m Busen. Trägt sie dagegen schmutzig-grau, erscheint als Mann zwar jede Frau – ganz unauffällig, staubig trocken. Doch sieht man nicht die fiesen Flocken, die aus den alten Blättern dringen und Frauen zur Verzweiflung bringen …“
Der Verfasser dieses Berichts, dem seinerzeit die Anleitung übertragen worden war, referierte im jüngsten Hohenleubener Sonntagsgespräch vor etwa 40 Teilnehmern über Geschichte und Gegenwart der Aufbewahrung und Erschließung der in Berga befindlichen Archivalien. Genau genommen war es der Bericht über eine Einrichtung, die als solche nicht existiert, denn dazu bedarf es formal-juristisch erst eines Beschlusses über deren Bildung …
Die städtischen Archivalien wurden jahrhundertelang im jeweiligen Rathaus (manchmal wohl auch in der Privatwohnung des Bürgermeisters) aufbewahrt und waren der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Brände, Kriege und andere Katastrophen trugen dazu bei, dass zumindest von den Akten vor 1850 nur ein kleiner Teil erhalten geblieben ist. Trotzdem war der Platz immer beengt, so dass nach 1990 einiges auch im „Spittel“, dem alten Bergaer Armen-Hospital und Sitz des dortigen Geschichtsvereins, untergebracht war. Nach der Auflösung des Kreisarchivs Zeulenroda kamen vor wenigen Jahren zusätzlich die Unterlagen der eingemeindeten Dörfer nach Berga; Erweiterungen der Bestände erfolgten vor allem auch durch Übergabe von Vereinsmaterialien und von privaten Unterlagen. Nach Vorarbeiten von Gundo Benkel und Sabine Richter und der Unterbringung aller Archivalien in einem Raum der Alten Schule (dem jetzigen Bürgerhaus) begann die systematische Erschließung durch die ehrenamtliche Arbeitsgruppe. Mitglieder sind neben dem Berichterstatter Karl-Heinz Apel, Gudrun Brosig, Elke Hofmann, Gudrun König, Erika Scharschmidt und Wolfgang Rehor; zeitweise wirkten auch Helga Miethke und Birgit Prasse mit. Neben Archivalien der Stadt befinden sich in dem kleinen Raum vor der Bibliothek Gemeindeunterlagen von Albersdorf, Clodra, Culmitzsch, Dittersdorf, Eula, Großdraxdorf, Kleinkundorf, Markersdorf, Obergeißendorf, Untergeißendorf, Wernsdorf, Wolfersdorf und Zickra, gewöhnlich aus dem Zeitraum von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis etwa 1960/1970. Einige wenige Unterlagen betreffen auch Mosen, Teichwitz und Teichwolframsdorf. Die bescheidene materielle Ausrüstung besteht in Wandregalen mit großen und kleinen Pappkartons, einem Computer und einem Kopierer.
Zunächst begann man mit der inhaltlichen Erschließung der Lokalnachrichten der „Bergaer Zeitung“, deren Jahrgänge von 1889 bis in die 30er Jahre in gebundener Form vorliegen. Dazu war es nötig, eine Liste zu berücksichtigender Orte und Örtlichkeiten aufzustellen. Diese umfasst neben den oben genannten Orten auch die Stichwörter Altgernsdorf, Angermühle, Clodramühle, Endschütz, Eulamühle, Friedmannsdorf, Großkundorf, Hohenölsen, Katzendorf, Kleindraxdorf, Kleinreinsdorf, Langenwetzendorf, Lehnamühle, Neugernsdorf, Neumühle, Nitschareuth, Oberhammer, Pöltzschen, Rüßdorf, Schloßberga, Seelingstädt, Settendorf, Sorge, Trünzig, Tschirma, Unterhammer, Waltersdorf, Weida, Wildetaube, Wittchendorf, Wünschendorf und Zwirtzschen. Die gefundenen Lokalnotizen wurden später in eine Computer-Datei eingegeben und können nun nach Orten und Sachwörtern aufgerufen werden; dem Nutzer steht auch eine auf diese Weise geordnete Mappe zur Verfügung. Die rund 90 aufrufbaren, die verschiedensten Themen umfassenden Sachbegriffe reichen von den Stichwörtern Abgeordnete, Apotheke und Arbeiterbewegung über Bad, Denkmal, Ehrenbürger, Fabriken, Gastronomie, Hebamme, Jagd, Kapp-Putsch, Landwirtschaft, Markt, Nachtwächter, Parteien, Rathaus, Schlossberga, Tiere, Unglück, Vereine, Wahlen bis zu Zollhaus.
Nach einem Kurzlehrgang zum Lesen der alten deutschen Schrift konnte man zur Erschließung der meist handschriftlichen Archivalien übergehen. Die von Zeulenroda mit übergebenen Karteikarten dienten als Vorbild für neu anzulegende. Jedes Schriftstück erhielt eine eigene Karte, auf welcher der Ort, der Kurzinhalt und das jeweilige Archivsignum (Karton A 1 bis A 178) verzeichnet sind. Die Eingabe auch dieser Angaben in eine Computerdatei ist um Gang. Die Archivalien erfassen die verschiedensten Themengebiete. So finden sich Akten über Strafsachen, Handwerk und Gewerbe, Stiftungen, Armenfürsorge, Schule, Apotheke, Vereine oder Bausachen, Unterlagen zum Bau der Wismutsiedlung, zur Partnerschaft mit der französischen Stadt Gauchy und zum Ende von Culmitzsch. Wichtig und aufschlussreich sind die auch Protokollbücher der Gemeindevertretungen, zu denen kurze Inhaltsangaben in handschriftlicher Form erarbeitet werden. Der Referent ging auf einige Schriftstücke, darunter auch auf ältere, in Bild und Wort ein. So stellte er das Zins- und Dienstbuch von Großdraxdorf (1600/1602), eine Handwerkerquittung vom Bergaer Rathausbau (1690), das Gemeindeprotokollbuch von Markersdorf (1845), das Bergaer „Journal Fremdenverkehr“ (um 1850; hier werden die Durchreisenden erfasst), ein Gesindezeugnisbuch (um 1880) und ein Schreiben des Kreisnaturschutzbeauftragten Dr. Martin (1947) vor. Zu den Beständen des Bergaer Archivs gehören auch gedruckte Bekanntmachungen aus dem Revolutionsjahr 1848.
Hauptziel ist natürlich, die Archivalien für die öffentliche Benutzung zur Verfügung zu stellen. Das ist bis jetzt nur in bescheidenem Rahmen möglich, zumal noch keine offizielle Benutzungsordnung existiert. Auch ein Leseraum wäre für einen geordneten Publikumsverkehr unabdingbar. Bereits jetzt kann für Forschungszwecke – wegen der beschränkten Räumlichkeiten nach Voranmeldung – am Montagvormittag (9 Uhr bis 11.30 Uhr) Einblick in Schriftstücke genommen werden. Bisherige Benutzer erforschten z. B. die Bergaer Industriegeschichte (für Unterrichtszwecke), die Entwicklung von Handel und Gewerbe und die Geschichte einzelner Orte und Familien. Die ehrenamtlichen Archivare stellten eine Sammlung von Zeitungsbeiträgen zur Schulgeschichte zusammen und veröffentlichten in der Tagespresse eine Artikelserie zur Weihnachtszeit im Spiegel der alten „Bergaer Zeitung“. Im Greizer „Heimatboten“ erschien unter dem Titel „Ein Bergaer Vierbeiner als Demagoge (1854/1855)“ die Auswertung eines unter den Polizeisachen gefundenen Schriftstücks. Im Unterricht wurde in einer Projektwoche die alte deutsche Schrift anhand von Beispielen aus Gemeindeprotokollbüchern erläutert. Zu nennen sind auch Broschüren von Gundo Benkel zum alten Bergaer Handwerk.
Es ist zu hoffen und zu wünschen, dass sowohl die Mitglieder des „Archivteams“, wenn sie in alten Akten kramen, als auch zukünftige Nutzer so manches ans dem Staub der Vergangenheit ins Licht der heutigen Öffentlichkeit fördern und damit helfen, unsere Geschichte weiter zu erhellen. Vielleicht kann man dabei ja sogar etwas für die Gegenwart lernen.
Dr. Frank Reinhold